[Fake News] Claas Relotius und die deutsche Lügenpresse

In Deutschland ist der Vorwurf der Lügenpresse mittlerweile bekannt aber auch umstritten. Der Vorwurf markiert das verlorene Vertrauen in die Presse. Meistens wird der Vorwurf nur zurück gewiesen, mit zunehmender Zeit wird die Debatte über das Vertrauen in die Presse hitzig. Nun hat der 33-jährige Journalist vom Spiegel Claas Relotius eingestanden mindestens 14 seiner Reportagen gefälscht zu haben. Gespräche, Begegnungen und sogar Personen hat er frei erfunden. Relotius schrieb für den Spiegel, die taz, die Frankfurter allgemeine Sonntagszeitung, die Süddeutsche Zeitung, die Welt, Zeit Online, Zeit Wissen, den Cicero, die NZZ am Sonntag und die Weltwoche. Für seine Arbeit erhielt er den Schweizer Medienpreis für junge Journalisten, dem Österreichischen Zeitschriftenpreis, den Deutschen Reporterpreis, dem Liberty Award, dem European Press Prize, den Peter-Scholl-Latour-Preis, die CNN zeichnete ihn als Journalist of the Year aus und bei der Verleihung für den katholischen Medienpreis wurde seine Arbeit als Pflichtlektüre für alle Politiker bezeichnet. Oder kurz es hat einen von ganz oben getroffen. [1] [2]

Aufgeflogen ist Relotius wegen des Artikels Jaegers Grenze, einem Bericht über eine Bürgerwehr in den USA gegen Einwanderer. Relotius hat mit seinen spanischen Kollegen Juan Moreno zusammengearbeitet um über die Menschen zu berichten die auf dem Wege durch Mexiko sind um in die USA einzureisen und die Menschen in den USA die gegen die Einreise sind. Moreno hat die Migrantenkarawane auf der mexikanische Seite begleitet während Relotius zu den Bürgerwehren an der Grenze recherchieren sollte. Der Artikel lässt auf beiden Seiten kein Klischee aus. Auf der einen Seite sind die schießwütigen Ausländerfeinde die Ungarn (Hungary) und Honduras nicht von einander unterscheiden können und auf der anderen Seite sind die bedürftigen und wohlgesonnenen Migranten. Aufgeflogen ist Relotius weil Moreno Ungereimtheiten am Artikel aufgefallen sind. Relotius schrieb von Bergen wo alles flach ist, einem Medien gegenüber scheuen Patrouillenführer der vor ein paar Jahren im Mittelpunkt der Doku Cartel Land stand und einem Artikelanfang zuerst ohne angebliche Schüsse dann mit. Nachdem Moreno die Ungereimtheiten nachgeprüft hat fand er heraus dass angeblich geführte Gespräche nie stattgefunden haben. Mit seinem Verhalten hat Moreno seinen Arbeitsplatz riskiert. Umso beeindruckender ist sein Eifer. Doch selbst wenn der Artikel nicht auf Unwahrheiten basieren würde, dann wäre er immer noch einseitig und tendenziös. Der Artikel hätte die legitimen Sorgen der US-Bürger behandeln können oder erwähnen können dass Mexiko bereits ein sicheres Land ist. Hat er aber nicht. [3]

Mit dem Klischee der Hinterwäldler hat Relotius nicht das erste mal gearbeitet. In 2017 schrieb Relotius einen Artikel über die Kleinstadt Fergus Falls in den USA. Darin serviert er der Leserschaft diverse Märchen der gleichen Art. Angeblich laufe im hiesigen Kino seit zwei Jahren der Kriegsfilm American Sniper, am Ortseingang stehe ein Schild mit der Aufschrift Mexicans Keep Out, eine Schule wäre mit einem Metalldetektor und drei Panzerglastüren geschützt und vieles mehr. Nichts davon stimmt. Kurzum der Artikel bedient vor allem die Vorurteile über das ländliche Amerika. [4] [5] [6]

Von 2016 bis 2018 hat Relotius diverse Artikel über den Krieg im Syrien geschrieben. Darin bestätigt er wie viele seiner Kollegen das Bild von Bashar al-Assad als Fassbomben werfende Diktator und die Erklärung dafür wie der Krieg ausgebrochen sei. Ein kleiner Junge in Syrien habe eines Tages Graffiti gegen die Regierung gemalt und wurde deswegen verhaftet. In der Haft wurde der Junge dann gefoltert und die darauf folgenden Demonstrationen wurden dann zum Bürgerkrieg. Ein kleiner Junge in Syrien habe also mit einem Graffiti einen Krieg entfacht. Die Rebellen in Syrien kämpfen nach Relotius folglich für Freiheit und Gerechtigkeit. Relotius schrieb wiederholt dass al-Assad leichtfertig die eigene Bevölkerung ermordet und deswegen die Menschen leiden. Einen Erklärung für den Aufstieg des IS bietet er jedoch nicht. In seinen Artikeln drückte Relotius mehrfach auf die Tränendrüse. Die Einwanderung der Syrer wie im Zuge der Migrationskrise von 2015 wird deswegen als alternativlos dargestellt und Kritik an Einwanderung wurde von ihm als illegitim dargestellt. [7] [8] [9] [10]
Relotius hat sich also auch hier stromlinienförmig in die Mehrheitsmeinung der Presse geschrieben. Eine umfassende Berichterstattung hätte mindestens die Interessen und Handlungen dritter Parteien aufgezeigt. Denn auch wenn der sunnitische Islam einen fruchtbaren Boden für religiös motivierte Gewalt bietet gibt es mehr. Relotius oder seine Kollegen hätten über das Projekt The Day After der Stiftung Wissenschaft und Politik, Operation Timber Sycamore oder das South Pars Gasfeld berichten können. Die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin ist eine Stiftung das den Deutschen Bundestag, die Bundesregierung sowie politische Entscheidungsträger in Deutschland in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik berät. Gegründet wurde die SWP am 21. Januar 1965 durch den Bundestags und wird von der Bundesregierung finanziert. Das Projekt The Day After ist ein von der SWP verfasstes Strategiepapier das eine Blaupause für den Regierungswechsel in Syrien. Operation Timber Sycamore war eine Geheimoperation zur Unterstützung von Rebellen in Syrien durch die Regierungen der USA, Saudi-Arabien und Qatar. Hierbei wurden Waffen, Geld und Ausbildung zur Verfügung gestellt. Und South Pars ist ein Gasfeld im Persischen Golf im Hoheitsgebiet von Qatar und dem Iran. Das South Pars Gasfeld könnte mit Europa verbunden werden und wegen der hohen Kaufkraft in Europa große gewinne einbringen. Dies würde aber zum Nachteil Russlands sein dass Europa derzeit zu teilen mit Gas und Öl versorgt und Syrien ist ein Verbündeter Russlands. Interessen gegen al-Assad haben tendenziell die russenfeindlichen Lobbys in Europa und den USA sowie einige Transitländer einer potentiellen Pipeline. Und Interessen für al-Assad hat folglich Russland um Europa nicht als Kunden zu verlieren. [11] [12] [13]

Das auch von Relotius bediente Narrativ über Syrien setzt sich in der Berichterstattung über die Migrationskrise fort. Relotius berichtete mit seinen Kollegen wohlwollend über das Schiff Lifeline des Kapitäns Claus-Peter Reisch. Die Besatzung der Lifeline bestehe aus ehrbaren und selbstlosen Rettern die Menschen rette, die auf dem Weg nach Europa in Seenot geraten seien. Relotius bestätigt damit das Narrativ der alternativlos richtigen Retter vor der libyschen Küste. Eine vollständige Darstellung ist dies jedoch auch nicht. Die kürzeste Strecke von der libyschen Küste beträgt aber über 200 km bis zur italienischen Insel Lampedusa. Ohne Ortungssystem ist Lampedusa jedoch kaum zu finden und die nächste Strecke von der libyschen Küste beträgt über 500 km bis zur Küste Siziliens. Zusätzlich zu den Personen müssen die Boote also für die gesamte Besatzung Wasser, Proviant und Kraftstoff transportieren. Die Boote mit denen die Menschen richtung Europa fahren sind immer mit der Besatzung ausgelastet und Wasser, Proviant und Kraftstoff kann ein so volles Boot nicht mehr tragen. Die Menschen werden aber auch nicht im Mittelmeer gerettet sondern direkt vor der Küste aufgesammelt. Und anstatt an die naheliegende Küste zu fahren, werden die Menschen nach Europa gebracht. Damit verhalten sich Schiffe wie die Lifeline von Claus-Peter Reisch eher wie Menschenschmuggler. Folglich drängt sich die Frage auf wie viele Menschen wegen solcher Leute auf die offene See und damit in den sicheren Tod gelockt werden weil ihnen Wasser, Proviant und Kraftstoff ausgegangen ist. Mittlerweile ist sogar herausgekommen dass Relotius einen Spendenaufruf für die Protagonisten seiner Artikel vorgetäuscht hat. Er hat offenbar Leser ermuntert Geld für die Protagonisten seiner Artikel zu spenden. Das Geld sei aber auf seinem Privatkonto gelandet. [14] [15] [16] Eine Redaktion kann nicht Alles überprüfen. Der personelle Aufwand würde sich vermutlich verdoppeln. Eine Redaktion kann entweder wie im Falle seiner Berichte aus Fergus Falls oder Syrien überprüfen ob es ein einseitiger oder lückenhafter Bericht ist. Eine Redaktion kann aber auch wie im Falle der Lifeline oder seinem Interview mit Traute Lafrenz überprüfen ob die geschilderten Ereignisse so möglich sind. Relotius führte ein Interview mit Traute Lafrenz am 26. August 2018, dem letzten noch lebende Mitglied der Widerstandsorganisation Weißen Rose. Lafrenz lebt mittlerweile in South Carolina und hat sich nach Relotius zu den Ereignissen nach dem Mord an Daniel H. am 25. August 2018 in Chemnitz geäußert. Im Interview hat sich Lafrenz über die Demonstrationen in Chemnitz angeblich empört. Dies ist unglaubwürdig. Es ist absurd anzunehmen das eine 99-jährige Frau in den USA über die regionalen Ereignisse in Deutschland schon am nächsten Tag informiert ist. Mittlerweile ist bestätigt dass diese und viele andere Passagen des Interviews erfunden sind. [17] [18] [19]

Relotius hat sich also wiederholt stromlinienförmig in die Mehrheitsmeinung der Presse geschrieben. Der Manipulation wurde bis jetzt nur Relotius überführt. Es bleiben also die Fragen wie die Presse so tendenziös geworden ist und wie viele noch manipulieren. Nach einer Studie über die Ansichten und das Wahlverhalten von Journalisten in Deutschland wählt ein Viertel der Journalisten die Partei die Grünen. Und fast die Hälfte der Journalisten wählt demnach das Linke und Grüne Lager. Auf die konservative CDU/CSU und die wirtschaftsliberale FDP entfallen nur jeweils 9 und 7,4 Prozent. Linke und Grüne sind also überrepräsentiert während andere Parteien dramatisch unterrepräsentiert sind. Die Meinung ist schon einmal gesetzt. Relotius hat aber auch für das entsprechende Narrativ manipuliert. Seine Kollegen Anja Reschke und Georg Restle vom öffentlichen Rundfunk schlagen dies ebenfalls vor. Beide kritisieren das Neutralitätsgebot für Journalisten. Beide haben aufgefordert dass Journalismus werteorientiert sein soll und Haltung zeigen sollen. [20,S.18] [21] [22] Kritik an der Presse ist also nicht Wasser auf die Mühlen der Falschen. Wegen der Affäre Relotius ist es umso wichtiger zu sagen was ist. Denn wenn die Wahrheit zu sagen den vermeintlich Falschen nutzt, dann stimmt etwas mit den Richtigen nicht.

siehe auch:
[Innenpolitik] Die erste Hetzjagd in Chemnitz

see also:
[Kommentar] Claas Relotius ist keine Ausnahme

[1] Der Spiegel 52 2018-12-22
http://www.spiegel.de/media/media-43950.pdf
[2] Laudatio von Patricia Riekel, ehemalige Chefredakteurin Bunte, für Claas Relotius 2017-10-16
https://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_downloads/presse_2017/2017-171b-Preisverleihung-Kath-Medienpreis_Laudatio-Riekel.pdf
[3] Bürgerwehr gegen Flüchtlinge - Jaegers Grenze 2018-11-16
http://www.spiegel.de/plus/buergerwehr-gegen-fluechtlinge-in-arizona-jaegers-grenze-a-00000000-0002-0001-0000-000160834460
[4] Fans des US-Präsidenten - Wo sie sonntags für Trump beten 2017-03-29
http://www.spiegel.de/spiegel/fergus-falls-in-minnesota-in-der-kleinen-welt-der-waehler-von-donald-trump-a-1140600.html
[5] Fergus-Falls-Bewohner zum Fall Claas Relotius - "Zu perfekt, um wahr zu sein" 2018-12-21
http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/fall-claas-relotius-fergus-falls-bewohner-im-interview-a-1245033.html
[6] Der Spiegel journalist messed with the wrong small town 2018-12-19
https://medium.com/@micheleanderson/der-spiegel-journalist-messed-with-the-wrong-small-town-d92f3e0e01a7
[7] Schicksale - Königskinder 2016-07-09
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-145742868.html
[8] Kinder aus Aleppo - Die Geschichte von Ahmed und Alin 2016-07-11
http://www.spiegel.de/spiegel/syrien-krieg-schicksal-von-waisenkindern-aus-aleppo-reportage-a-1102372.html
[9] Schicksale - Wie der IS aus zwei Kindern Attentäter machte 2017-02-22
http://www.spiegel.de/spiegel/islamischer-staat-wie-der-is-aus-zwei-kindern-attentaeter-machte-a-1135424.html
[10] "Bei Gott, ich hätte das nie schreiben dürfen" - Der Junge, mit dem der Syrienkrieg begann 2018-06-22
http://www.spiegel.de/plus/mouawiya-syasneh-der-junge-mit-dem-der-syrienkrieg-begann-a-00000000-0002-0001-0000-000158024647
[11] The Day After. Supporting a Democratic Transition in Syria 2012-08-28
https://www.swp-berlin.org/en/publication/the-day-after-democratic-transition-in-syria/
[12] US-Waffenlieferungen - Heikle Fracht aus Ramstein 2017-09-12
https://www.sueddeutsche.de/politik/us-waffenlieferungen-heikle-fracht-aus-ramstein-1.3663289
[13] The Pentagon's $2.2 Billion Soviet Arms Pipeline Flooding Syria 2017-09-12
http://www.balkaninsight.com/en/article/the-pentagon-s-2-2-billion-soviet-arms-pipeline-flooding-syria-09-12-2017
[14] Rekonstruktion der Irrfahrt von Rettungsschiff "Lifeline" - Der Kapitän weint 2018-06-06
http://www.spiegel.de/plus/lifeline-rettungsschiff-im-mittelmeer-der-kapitaen-weint-a-00000000-0002-0001-0000-000158265097
[15] people trafficking 2016-12-03
https://youtu.be/TbIc1LZqIAw
[16] Fall Claas Relotius - Reporter täuschte Leser offenbar mit Spendenaufruf 2018-12-22
http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/fall-claas-relotius-reporter-taeuschte-leser-offenbar-mit-spendenaufruf-a-1245226.html
[17] Die letzte Überlebende der "Weißen Rose" im Interview - "Wir hatten keine Ahnung, wie allein wir waren" 2018-09-21
http://www.spiegel.de/plus/weisse-rose-die-letzte-ueberlebende-im-gespraech-a-00000000-0002-0001-0000-000159547649
[18] Kujau Relotius 2018-12-20
https://www.publicomag.com/2018/12/kujau-relotius/
[19] Letzte Überlebende der "Weißen Rose" - Lafrenz-Interview vom Fall Relotius betroffen 2018-12-20
http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/fall-claas-relotius-weisse-rose-ueberlebende-traute-lafrenz-betroffen-a-1244756.html
[20] POLITIKJOURNALISTINNEN UND -JOURNALISTEN 2010-05
https://www.dfjv.de/documents/10180/178294/DFJV_Studie_Politikjournalistinnen_und_Journalisten.pdf
[21] Anja Reschke: "Dagegen halten - Mund aufmachen" NDR 2015-08-05
https://youtu.be/i9kv-rmvGKg
[22] Georg Restle 2018-07-03
https://twitter.com/georgrestle/status/1014133298245853184/photo/1

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