[Wirtschaft] Ist die deutsche Wirtschaft großartig 2019-05-15

Wegen der hohen Arbeitslosigkeit und des schwachen Wirtschaftswachstum galt Deutschland in den 90ern als der kranke Mann Europas. Nach der Einführung des Euros begann jedoch ein von vielen bewunderte Erholung der deutschen Wirtschaft. Die Arbeitslosenquote ist von etwa 10% in 2002 auf etwa 5% in 2019 gesunken. [1] Mittlerweile häufen sich aber die Warnungen über eine bevorstehende Rezession der deutschen Wirtschaft. Es stellt sich also die Frage was hinter dem vermeintlichen Wunder der deutschen Wirtschaft steckt. [2] [3] [4] [5]

Unter Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) (1998-2005) wurde eine angebotsorientierte und arbeitgeberfreundliche Politik in Deutschland etabliert. Obwohl Schröder Sozialdemokrat war und ist wurden unter ihm der Niedriglohnsektor ausgeweitet. Hierzu wurden im Rahmen der Agenda 2010 unter anderem das Niveau der Sozialhilfe gesenkt, der Kündigungsschutz eingeschränkt und die Leiharbeit ausgeweitet. Das Ziel war es die Arbeitslosigkeit zu verringern. Die Logik war dass die Arbeitslosigkeit sinkt, wenn der Preis für Arbeit in Form der Löhne sinkt. Und in einem Staat mit einem Sozialsystem gibt es immer auch einen impliziten Lohn in der Höhe der Sozialhilfe.

Die Folge war jedoch nicht dass zusätzliche Arbeit geschaffen wurde, sondern dass die verfügbare Arbeit auf mehr Personen verteilt wurde. Während sich die Arbeitslosigkeit verringert hat, blieb die Zahl der gearbeiteten Stunden nahezu unverändert. Gleichzeitig hat Deutschland enorme Exportüberschüsse zu lasten anderer aufgebaut und ist so zu einem entsprechend großem Gläubiger geworden. Und durch die Verringerung des Lohnniveaus ist gleichzeitig die Anzahl derjenigen gestiegen die trotz Arbeit in Armut leben.
  1. Die Ursprünge
  2. Die Rechnung
    1. Macron
    2. Brexit
  3. Erwerbsarmut

Die Ursprünge

Am 1. Januar 2005 wurde das Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (Hartz IV) eingeführt. Es regelt die Sozialleistungen in Deutschland. Mit dieser Änderung wurden die Sozialleistungen gekürzt. Diese dienen in indirekter Weise als Mindestlohn da Menschen weniger geneigt sind für einen Lohn zu arbeiten der unter den Sozialleistungen liegt. Die deutsche Bundesregierung hat damit das Lohnniveau gesenkt. Dies ist auch einer der Gründe für die Beförderung der Arbeitsmigration der deutschen Bundesregierung. Die deutsche Bundesregierung nennt dies dann Fachkräftemangel. Siehe: [Dossier] Migration Geschäft [6] Und auf dem Weltwirtschaftsforum im Schweizer Davos hat der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder den damit geschaffenen Niedriglohnsektor gelobt.
We have a fantastic labour market in germany at the moment. A very well funtioning good low wage labour market. [7,21m10s]
Damit begann die Zeit der Lohnzurückhaltung in Deutschland. Dies wurde in einem Appell verschiedener Ökonomen gelobt. Diverse Ökonomen wie z.B. Hans-Werner Sinn haben dieses Verhalten für gut befunden. [8]

Während die Anzahl der Arbeitslosen stetig geringer wurde, blieb die Anzahl der geleisteten Arbeitsstunden jedoch gleich. Es wurde also keine Arbeit geschaffen. Die verfügbare Arbeit wurde lediglich auf mehr Menschen verteilt.

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Besonders deutlich wird dies wenn die Zahlen normiert werden.

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Deutschland ist aber auch der Euro-Währungsunion beigetreten. Und eine Währungsunion zeichnet sich dadurch aus dass es nur einen Leitzins gibt. Und vor allem verschwinden mit einer Währungsunion die Wechselkurse. Dies führte dazu dass der Leitzins für einige Länder zu hoch und für andere Länder zu niedrig war. Außerdem entfiel mit den Wechselkursen die Möglichkeit der Länder ihre Außenhandelsbilanz auszugleichen. Eine gleichmäßige Entwicklung der Löhne und Arbeitsproduktivität in allen Euro-Ländern war also notwendig.

Dies war jedoch nicht der Fall. Mit einem Mindestlohn von 9,19 Euro (2019) liegt Deutschland unter Luxemburg, Frankreich, Irland, Niederlande und Belgien. Sichtbar wird dies an den Lohnstückkosten. Dies sind die Löhne in Relation zur Arbeitsproduktivität. [10]

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Wie man sieht unterliegt die deutsche Lohnzurückhaltung den anderen Ländern. Deutschland liefert folglich durch geringere Löhne auch geringere Preise. Und mangels Wechselkurse sind die anderen Euro-Länder den Exporten Deutschlands ausgeliefert. Aber auch ohne Deutschland würden die Ungleichgewichte bei den Löhnen bleiben. wäre Deutschland als nicht mehr im Euro, dann würde das nächste Land die Rolle des Überschusslandes einnehmen.

Die Rechnung

Als Ergebnis wurde Deutschland erneut zum Exportweltmeister gekrönt. Die deutsche Handelsbilanz weist seit einigen Jahren einen steigenden Exportüberschuss aus. Viele und besonders Politiker in Deutschland sind darauf stolz.

Die Handelsbilanz einer Region vergleicht die Waren und Dienstleistungen die importiert werden mit denen die exportiert werden. Darin enthalten sind auch Gewinne aus Kapitalanlagen. Die Handelsbilanz zeigt folglich um wie viel sich andere Regionen bei einer Region verschuldet haben, in diesem Fall um wie viel sich das Ausland bei Deutschland verschuldet hat. Ein Überschussland wie Deutschland erhält für die exportierten Waren und Dienstleistungen das Versprechen in Zukunft Waren und Dienstleistungen aus dem Ausland zu erhalten. Oder kurz Forderungen. Die Überschüsse Deutschlands sind also zwangsläufig die Defizite anderer Länder.

Deutschland erwirtschaftet die eigenen Überschüsse primär mit anderen Ländern die ebenfalls den Euro verwenden. D.h. Deutschland hat viel Auslandsvermögen im Euro-Raum aufgebaut und dies sind die Schulden der anderen Länder.

Die Exportüberschüsse verdrängen in den Ländern mit Exportdefizit zusätzlich Arbeitsplätze. Da die hiesige Wirtschaft durch Importe, in diesem Fall deutsche Importe, ersetzt wird. Deutschland wirtschaftet folglich auf Kosten anderer Länder und exportiert Arbeitslosigkeit in andere Länder. Damit verstößt Deutschland gegen das deutsche Grundgesetz und den Maastricht-Vertrag. Da Deutschland einen Exportüberschuss aufweist und dieser die Vertragsgrenze von sechs Prozent überschreitet. [12] [13]

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Ob die Schulden je zurückgezahlt werden ist ungewiss. Wenn Auslandsschuldner ihre Zahlung nicht mehr begleichen können dann gehen Unternehmen bankrott. Bei ganzen Ländern wertet ihre Währung ab. Damit würden dann auch die Forderungen entwertet.

Mit derzeit 39 % Exportanteil ist Deutschland mehr vom Export abhängig als China. Damit ist Deutschlands Wirtschaft enorm vom Export abhängig und besonders Anfällig für internationale Krisen oder einem Handelskrieg. Und der Binnenmarkt der deutschen Wirtschaft wird zunehmend zurückgelassen. Und auch der Exportüberschuss ist mit derzeit 8 % höher als der Exportüberschuss von China.

Macron

Dieses Dilemma spielt auch immer wieder innerhalb der EU eine Rolle. Der französische Präsident Emmanuel Macron wird gerne von linksliberalen Milieu für seine vermeintlich europafreundliche Einstellung gelobt. Die Forderung nach Reformen entstammt aber der ökonomischen Notlage Frankreichs. Frankreich hat immer noch ein Exportdefizit. Außerdem wird Frankreich zusammen mit anderen Euro-Ländern eine unzureichende Wettbewerbsfähigkeit attestiert. Wesentliche Exportüberschüsse haben z.B. Deutschland und die Niederlande.

Frankreich ist ebenfalls der Euro-Währungsunion beigetreten. Wenn der vermeintlich europafreundliche Präsident also für Europa wirbt, dann meint er die EU und denkt an das französische Exportdefizit. Sollten die Forderungen der französischen Regierung erfüllt, dann würde dies einer Transferunion den Weg bereiten. Und mit einem Exportüberschuss von etwa 250 Mrd. Euro pro Jahr würde eine solche Transferunion in Deutschland etwa 3.000 Euro pro Jahr betrage. In Anbetracht der bisherigen angebotsorientierte und arbeitgeberfreundliche Politik ist jedoch davon auszugehen dass eine solche Steuer die Unternehmen am wenigsten und die Arbeiterschicht am meisten treffen würde.

Brexit

Eine ähnliche Dynamik überschattet auch die Beziehungen von Groß-Britannien und Deutschland sowie der EU. Groß-Britannien selbst hat ebenfalls ein Exportdefizit von etwa 190 Mrd. Euro pro Jahr. Und mit Deutschland hat Groß-Britannien ein Exportdefizit von etwa 44 Mrd. Euro pro Jahr. [16] [17] [18] [19]

Mit der Mitgliedschaft in der EU ist Groß-Britannien auch in dessen Freihandelszone. Wenn Groß-Britannien die EU verlässt und nicht Teil der Freihandelszone bleibt, dann wäre der Handel zwischen beiden nicht mehr zollfrei. Dann würden sich die Exporte von Deutschland nach Groß-Britannien von etwa 77 Mrd. Euro pro Jahr verringern. Und dies erklärt auch die nicht kooperative Haltung der deutschen Bundesregierung bei den Verhanldungen zum Brexit.

Erwerbsarmut

In der Studie "20 Jahre Euro: Verlierer und Gewinner" vom "Centrum für Europäische Politik" wird Deutschland als größter Gewinner des Euros dargestellt. Außerdem wird in der Studie ein Wohlstandsgewinnen von 23.116 Euro pro Einwohner im Durschnitt attestiert. Dieser Wohlstandsgewinnen fand jedoch zu gunsten der oberen oder obersten Einkommensschichten statt. [20]
Deutschland hat mit Ausnahme von 2004 und 2005 jedes Jahr von der Euro-Einführung profitiert, besonders seit der Euro-Krise ab 2011. Kumuliert von 1999 bis 2017 hat der Euro in Deutschland zu Wohlstandsgewinnen von 1,9 Billionen Euro bzw. 23.116 Euro pro Einwohner geführt. Von den untersuchten Staaten hat Deutschland damit am meisten vom Euro profitiert. [20,p.7]
Für einfache Arbeitnehmer ging die Einführung des Euros mit einem Anstieg der Erwerbsarmut einher. Der Anteil der von Armut gefährdeten in Deutschland stieg von 12,7% in 2007 auf 20,5% in 2016. Nach den Kriterien der EU ist man von Armut gefährdetet wen man über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung verfügt. [21]

[22] [22,A03]

Auch der Anteil derjenigen die in Deutschland trotz einer Erwerbstätigkeit von Armut betroffen sind stieg seit der Einführung des Euros und der Niedriglohnpolitik. Nach Angaben der EVS (Einkommens- und Verbrauchsstichprobe) und der SOEP (Sozio-ökonomisches Panel) stieg in Deutschland der Anteil derjenigen die trotz einer Erwerbstätigkeit von Armut betroffen sind von etwa 5% in 1995 auf 10% in 2015. [22] [22,A03]

[1] Arbeitslose und Arbeitslosenquote 2019-03-19
https://www.bpb.de/nachschlagen/zahlen-und-fakten/soziale-situation-in-deutschland/61718/arbeitslose-und-arbeitslosenquote
[2] Economics - German Economy Heads for Worst Growth in Six Years 2019-04-17
https://www.bloomberg.com/news/articles/2019-04-17/germany-2019-economic-growth-forecast-cut-in-half-to-0-5-percent
[3] Germany's economy is flashing yet another 'grim' warning after more weak data and a slump in demand 2019-04-18
https://markets.businessinsider.com/news/stocks/german-economy-car-industry-in-crisis-after-grim-manufacturing-data-2019-4-1028121039
[4] The German economy is slowing. Brexit could make it worse 2019-01-28
https://www.aljazeera.com/news/2019/01/german-economy-slowing-brexit-worse-190128031440710.html
[5] 'This is a serious recession warning in the German economy' 2019-03-27
https://www.businessinsider.de/this-is-a-serious-recession-warning-in-the-german-economy-2019-3?r=US&IR=T
[6] Viertes Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt
https://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?startbk=Bundesanzeiger_BGBl&jumpTo=bgbl103s2954.pdf#__bgbl__%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27bgbl103s2954.pdf%27%5D__1545063076015
[7] Davos Annual Meeting 2005 - Gerhard Schröder 2007-04-30
https://youtu.be/k6ElcwqoOqM
[8] Hamburger Appell
https://web.archive.org/web/20130226021243/http://www.wiso.uni-hamburg.de/fileadmin/wiso_vwl_iwk/paper/appell.pdf
[9] NEWS - Germany minimum wage remains one of lowest in region: report 2019-02-14
https://www.dw.com/en/germany-minimum-wage-remains-one-of-lowest-in-region-report/a-47517931
[10] Frohe Kunde aus dem "Jobwunderland" Deutschland. Da lohnt ein genauerer Blick auf die Zahlen und die andere Seite der Medaille| 2018-01-03
https://aktuelle-sozialpolitik.blogspot.com/2018/01/frohe-kunde-aus-dem-jobwunderlanderland.html
[11] NOMINAL UNIT LABOUR COSTS, TOTAL ECONOMY
http://ec.europa.eu/economy_finance/ameco/user/serie/SelectSerie.cfm
[12] Grundgesetz Artikel 109
https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_109.html
[13] Maastricht-Vertrag
https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=OJ:C:1992:191:TOC
[14] Exportanteil/Export Share
https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/Indikatoren/LangeReihen/Aussenhandel/lrahl01.html
[15] Exportüberschuss/Export Surplus https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesamtwirtschaftUmwelt/VGR/Inlandsprodukt/Tabellen/BruttoinlandVierteljahresdaten_xls.html
[16] Where does the United Kingdom export to? (2017)
https://atlas.media.mit.edu/en/visualize/tree_map/hs92/export/gbr/show/all/2017/
[17] Where does Germany import from? (2017)
https://atlas.media.mit.edu/en/visualize/tree_map/hs92/import/deu/show/all/2017/
[18] Where does the United Kingdom import from? (2017)
https://atlas.media.mit.edu/en/visualize/tree_map/hs92/import/gbr/show/all/2017/
[19] Where does Germany export to? (2017)
https://atlas.media.mit.edu/en/visualize/tree_map/hs92/export/deu/show/all/2017/
[20] 20 Jahre Euro: Verlierer und Gewinner 2019 February
https://www.cep.eu/fileadmin/user_upload/cep.eu/Studien/20_Jahre_Euro_-_Gewinner_und_Verlierer/cepStudie_20_Jahre_Euro_Verlierer_und_Gewinner.pdf
[21] Eurostat-Daten - Wenn Arbeit nicht vor Armut schützt 2018-10-24
https://www.tagesschau.de/inland/beschaeftigte-armut-101.html
[22] Armuts- und Reichtumsbericht
https://www.armuts-und-reichtumsbericht.de/DE/Startseite/start.html

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